Anlehnung


 

1. WAS BEDEUTET ANLEHNUNG?
Die Sache mit der Anlehnung…
Fragt man ein paar Reiter, was Anlehnung bedeutet, erhält man die unterschiedlichsten Antworten:

“Wenn das Pferd am Zügel geht.”
“Wenn der Kopf runter kommt.”
“Wenn der Hals schön rund ist.”
“Wenn das Pferd an den Hilfen steht.” - Ah, da kommen wir der Sache schon etwas näher...

Die Definition nach FN-Richtlinien ist konkret festgelegt, dort heißt es sie ist eine “[...] stete, weich federnde Verbindung zwischen Reiterhand und Pferdemaul”.


Meine ganz persönliche Definition der Anlehnung lautet etwas anders. Anlehnung ist für mich ein Dialog zwischen mir und meinem Pferd. Ich nehme Informationen auf, die mein Pferd mir gibt und mein Pferd nimmt meine Hilfen an, es lernt also, sich an meine Hilfen “anzulehnen” und diese nicht als Forderungen, sondern als Fragen zu sehen. “Schau mal, was könnte ich damit meinen?” oder “Kannst Du Dich dehnen?”, “Kannst du meinem Schenkel weichen?”.
Mein inneres Bild ist hier ein Pferd, das in gesunder und entspannter Haltung mit aktiver Hinterhand, schwingendem Rücken und frei getragenem Genick unter dem Reiter läuft.
Dabei steht eine korrekte Anlehnung für mich also unweigerlich in direktem Zusammenhang mit jederzeitiger physischer und psychischer Losgelassenheit und der Durchlässigkeit meiner Hilfen. Ich spreche hier noch nicht von völliger Durchlässigkeit, wie wir sie am Ende der Skala der Ausbildung wünschen, doch sollte mein Pferd so motiviert und fit sein, dass es in der Lage ist, auf meine Fragen statt mit Entziehen oder Ignoranz mit Durchlässigkeit zu reagieren.

Es sollte nie die Intention des Reiters sein, das Pferd durch aktive Zügelhilfen in Anlehnung “zu bringen”, dies nennt man auch Beizäumung. Leider wird so nämlich oftmals rückwärts eingewirkt, sodass das Pferd dem Druck entweichen möchte und sich nach unten entzieht. So entsteht eine vermeindlich schöne Silhouette, aber mehr als das ist es eben auch nicht. Das Pferd wird lediglich in eine Form gepresst und seine Halswirbelsäule manipuliert. Ein hübsch getragener Hals bedeutet nämlich keineswegs automatisch einen aufgewölbten Rücken.


“Niemals darf der Reiter versuchen über das Gebiss das Pferd in Anlehnung zu ziehen.”, Andreas Werft.

Vielmehr ist es so, dass wir als Reiter den Weg ebnen, der nötig ist, damit unser Pferd körperlich in der Lage ist, eine gesundheitsfördernde Haltung in Form der Anlehnung annehmen zu können. Hat das Pferd diesen Status erreicht, begibt es sich, bei korrekt sitzendem, nicht störendem Reiter, von ganz alleine in Anlehnung. Man spricht auch davon, dass das Pferd die Anlehnung erfragt und die Reiterhand diese gestattet.
Die Anlehnung ist also gleichsam ein "Abfallprodukt" von einem aufgewölbten Rücken.
Der Ausdruck “am Zügel gehen”, entspricht demnach nicht ganz meiner persönlichen Vorstellung der Anlehnung. Denn mein Ziel ist, dass mein Pferd zügelunabhängig meinen Hilfen folgt und sich selbst trägt. Dieses Gefühl beim Reiten, dass man nichts in der Hand hat und das Pferd dabei wundervoll schwingend läuft und auf feinste Hilfen reagiert - unbeschreiblich.
Doch was bedeutet “sich selbst tragen?”, was geschieht bei der Anlehnung in Hinblick auf die Biomechanik und wie kann ich eine reelle Anlehnung erreichen?

2. WIE IST DER BIOMECHANISCHE VORGANG?
Das Pferd läuft taktvoll und ist losgelassen. Durch die so entstehende Entspannung des langen Rückenbandes kann sich der lumbosakrale Übergang (Übergang zwischen der Lendenwirbelsäule und dem Kreuzbein) öffnen. Die Kruppe neigt sich durch das Abkippen des Beckens und nimmt die hintere Lendenwirbelsäule mit in die Beugung. Dadurch können die Hinterbeine weiter nach vorne unter den Körperschwerpunkt des Pferdes untertreten und somit Last aufnehmen.

Das Kreuzbein wird in diesem Prozess angehoben und durch die so entstehende längere Vorführphase ergibt sich eine vermehrte Schubkraft und erst jetzt bewegt sich das Pferd reell von hinten nach vorne. Durch den längeren Weg der Hinterbeine und deren Lastaufnahme ist die Vorhand freier, das Pferd kommt besser aus der Schulter und kann aus diesem Vorgang später Tragkraft entwickeln.
Ist die Hinterhand so aktiv und das Pferd arbeitet von Hinten (Motor) nach vorne, ist die Oberhalslinie leicht gewölbt, der Unterhals entspannt, das Genick ist der höchste Punkt und die Pferdenase an der Senkrechten oder leicht davor, der Schweif schwingt frei, Augen und Ohren des Pferdes sind entspannt.
Wird eine vermeintliche Anlehnung erzwungen, ist die Nase entweder hinter der Senkrechten und es entsteht der sogenannte “falsche Knick” im Hals, da dort nun der höchste Punkt ist statt des Genicks oder die Nase ist zwar an der Senkrechten, aber das Pferd kommt viel zu eng, in beiden Fällen werden die Ganasche und Ohrspeicheldrüse gequetscht und die Energie kommt nicht wie er erwünscht von hinten nach vorne, der Rücken wölbt sich nicht auf und das Pferd läuft vorhandlastig.

3. VORAUSSETZUNGEN FÜR ANLEHNUNG
Unerlässlich für korrekte Anlehnung sind also ein fleißiges, taktvolles Schreiten und die Aktivierung der Hinterhand. Dies muss in der vorangegangen Ausbildung schonend erreicht werden, um in die Anlehnung übergehen zu können. Dieser Prozess ist nicht reell innerhalb von wenigen Wochen oder Monaten zu erreichen.
Bereits in der H.Dv.12 hieß es:
Losgelassenheit des Pferdes ist die erste Vorbedingung für den ersten Erfolg der gesamten Dressur.
Das Pferd muss also physisch und psychisch losgelassen sein, denn eine reelle Anlehnung ist ohne korrekten Takt und Losgelassenheit nicht möglich.

An dieser Stelle möchte ich ein Zitat von Paul Stecken anbringen, der sehr treffend formulierte:

Wie wollen sie unseren jungen Reitern heute erklären, dass sie die wundervollen Hälse unserer jungen Pferde am Anfang nicht annehmen dürfen?

Jeder, der einmal ein junges Pferd eingeritten hat weiß, der Hals eines solchen Pferdes rundet sich oft von alleine und die hübsche Silhouette ergibt sich fast von selbst, doch mehr als eine Silhouette ist dies auch nicht. Das Pferd ist noch nicht im Gleichgewicht und sein Körper für diese Halshaltung noch nicht ausreichend entwickelt. Die Folge ist ein Pferd, das sich schnell hinter der Senkrechten versteckt, da es den schönen runden Hals sonst gar nicht halten kann.
“Kopf unten” ist also nicht gleich Anlehnung. Auch ich kann mit herab gesenktem Kopf laufen und dabei immer noch ein Hohlkreuz machen.
Läuft ein Pferd nach den ersten Monaten des Trainings rhythmisch und taktsicher, schwingt in Folge dessen sein Rücken und es wird immer mehr in der Lage sein, sich in sein Grundgleichgewicht einzufinden und in Anlehnung zu laufen. Schnell wird das Pferd diese ausbalancierte Haltung als angenehm empfinden, steht doch im Gegensatz zu ihr ein herunter gedrückter Rücken. Auch wenn es die Anlehnung und den aufgewölbten Rücken zunächst nicht konstant, sondern immer nur einige Schritte halten kann, freuen wir uns über jeden Moment, in dem es diese Haltung einnimmt. Die Phasen werden mit korrektem Training zunehmend länger und konstanter. Dabei sollte immer das Pferd selbst entscheiden dürfen, wie lange und wann es sich in Anlehnung begibt. Denn wenn es einmal verstanden hat, worum es geht, nämlich um ein Aufwölben des Rückens, wird es diese Haltung sehr gerne annehmen, sobald es ihm möglich ist.


Lauft doch einmal selbst auf allen Vieren mit herunter gedrücktem Rücken und dann im Vergleich mit aufgewölbtem Rücken - was ist angenehmer?
Ich frage dabei immer mal wieder an, ob mein Pferd sich dehnen oder in Anlehnung begeben kann und irgendwann wird es mit Ja antworten können. Vielleicht erstmal “Ja, kann ich, aber nur zwei bis drei Schritte” und dann hebt es sich wieder über den Unterhals raus. Aber das ist okay, die Muskulatur, die den Bewegungsapparat in der Anlehnung stützt muss langsam und schonend aufgebaut werden.

Warte auf Dein Pferd. - Roland Moore

Ein Satz der daran erinnern soll, dass wir unsere aktiven Hilfen auf ein Minimum reduzieren sollen, besser noch, sie gänzlich weglassen sollten. Geben wir unserem Pferd stattdessen Zeit, bleiben wir ruhig, warten ab, aber bleiben dabei wach und aufmerksam mit gefühlvollen, passiven Hilfen.

4. WIE ERREICHE ICH ANLEHNUNG?
Mein inneres Bild: Die Energiewellen kommen von der Hinterhand über mein Gewicht und meinen Schenkel nach vorne in meine Hand, welche wie ein Sieb agiert und die Energie sanft an das Pferdemaul weiter leitet.
Ich muss mein Pferd um es in Anlehnung reiten zu können in der Aufwärm- und Lösungsphase des Trainings darauf ausreichend vorbereiten, sodass es irgendwann sagt “Okay, jetzt bin ich bereit.”
Dazu zählt für mich eine lange Schrittphase (20min - 30min) in angenehmer Dehnungshaltung mit Übertreten, ggf. Schenkelweichen und im Übergang in die Lösungsphase Seitengänge je nach Ausbildungsstand des Pferdes.
Diese Aufwärmphase kann sowohl unter dem Reiter als auch an der Hand ins Training eingebaut werden. Nun folgt eine ausgiebige Lösungsphase in Dehnungshaltung, in der mein Pferd im fleißigen Vorwärts-Abwärts trabt und ich leichttrabe oder im leichten Sitz reite. Dem folgen einige Übergänge und ggf. Seitengänge im Trab und Aussitzen. Nun, wenn ich das Gefühl habe, mein Pferd ist aufgewärmt, der Rumpf entspannt und biegsam, das Genick geschmeidig und mein Pferd auch mental losgelassen (kaut, schnaubt ab, entspannt sich), beginnt die Arbeitsphase in der die Anlehnung zu tragen kommt.
Hier ist ein fleißiges Schreiten unerlässlich, Wendungen und Biegungen, Seitengänge und der Gedanke, das Pferd geschmeidig zu machen, es nur über den Sitz und Energie lenken und leiten zu können.
Man muss die Balance zwischen Treiben, Annehmen und Nachgeben finden und erwünschtes Verhalten direkt belohnen. Viele Pausenphasen am hingegebenen Zügel sind im gesamten Training sehr wichtig.

Was Euch niemals bei dem Erreichen korrekter Anlehnung helfen wird sind Hilfszügel. Diese manipulieren die Halswirbelsäule des Pferdes, pressen es in eine Form und suggerieren durch “Kopf unten” dem ungeschulten Auge die erwünschte Anlehnung.
Doch Kopf unten ist niemals automatisch gleich Rücken hoch. Reelle Anlehnung kann ausschließlich auf Freiwilligkeit basieren und nicht auf “Nimm diese Haltung an, sonst tu ich Dir weh!” und nichts anderes tun Ausbinder und dergleichen. Nimmt das Pferd die gewünschte Haltung nicht ein, erfährt es Schmerzen im Maul, im Genick und im Rücken. Diese Verspannungen können verheerende Folgen haben.


Hilfszügel sind dort [in der Pferdeausbildung] meist faule Knechte, die den Schein geben zu helfen und andere faule Knechte im Nichtstun unterstützen (...) Hilfszügel geben so leicht den Anstrich eines Fortschrittes und sind deshalb bei den Leuten, denen es nicht um das Sein, sondern um den Schein zu tun ist, so beliebt. – Friedrich von Krane

Also bitte immer bedenken: Eine korrekte Anlehnung kann niemals über Druck und Zwang geschaffen werden.


Zu diesem Zweck muss sich das Pferd mit losgelassenem, den höchsten Punkt bildendem Genick, herangedehntem Halse und in sicherer Anlehnung infolge treibender Einwirkung VON SELBST ‘in die Hand stellen’; eine Bezeichnung nebenbei gesagt, die ‘die Beizäumung’, die immer einen Beigeschmack von aktiver Handeinwirkung hat, mit Vorteil ersetzen könnte. - Waldemar Seunig.
Lasst diesen Satz mal auf Euch wirken.

 

Reitponystute Viva (6-jährig) tritt von alleine von hinten nach vorne an die Hand heran.

 

Wer es begriffen hat, daß die Zügel nur dazu da sind, um dem Pferd das Finden in die Balance zu erleichtern und es darin zu erhalten, sodass es sich trägt, nicht aber dazu, dem Pferd eine gewünschte Kopf-Hals-Haltung anzuzwingen, bei dem kommen die Pferde von selbst in die angestrebte Haltung. - Udo Bürger

 

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